Bundesgerichtshof (BGH): Kündigungsschutz für Mieter mit starken Gesundheitsproblemen

Der BGH hat sich in seinem Urteil vom 15.03.2017 (Az. VIII ZR 270/15) mit der Frage befasst, in welchem Umfang sich Gerichte mit vom Vermieter vorgetragenen Härtegründen bei der Entscheidung über die Fortsetzung eines Mietverhältnisses auseinanderzusetzen haben. Dabei hat er insbesondere die Bedeutung unterstrichen, die der Prüfung von Härtegründen nach der sorgfältigen Sachverhaltsfeststellung sowie der Interessengewichtung zukommt.

Sachverhalt: Wohnungskündigung eines Demenzkranken

In dem entschiedenen Fall ging es um einen Mietvertrag über eine Dreieinhalbzimmerwohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis, da er die Wohnung für die Familie seines Sohnes benötigte, der bisher die im Obergeschoss liegende Wohnung bewohnte, die für die wachsende Familie zu klein geworden war. Der Sohn beabsichtigte seine Wohnung und die Wohnung der Beklagten zusammenzulegen, um mehr Wohnraum für seine Familie zu schaffen und die beengten Wohnverhältnisse zu beseitigen.

Die Beklagten widersprachen der Kündigung und machten geltend, dass der Sohn mit seiner Familie alternativ die leerstehende Dachgeschosswohnung nutzen könne. Jedenfalls könnten sie – die Beklagten – die Fortsetzung des Mietverhältnisses aufgrund persönlicher Härte verlangen, da der im Jahre 1930 geborene Beklagte zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen habe und an einer beginnenden Demenz leide, die sich zu verschlimmern drohe, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen würde.

Entscheidung des BGH: Fortsetzung des Mietverhältnisses trotz wirksamer ordentlicher Kündigung aus Härtegründen

Der BGH begründet seine Entscheidung wie folgt: Der Mieter einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung könne widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Dazu müsste die Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeuten, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen sei. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die für den Mieter mit einem Umzug verbundenen Unannehmlichkeiten sich deutlich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten abheben.

Bei der Prüfung von Härtegründen müssen Gerichte den Sachverhalt sorgfältig ermitteln und die beiderseitigen Interessen sowohl des Vermieters als auch des Mieters gegeneinander abwägen, d.h. das Gericht muss sich ein Bild davon verschaffen, welche konkreten gesundheitlichen Folgen ein Umzug für den Mieter hätte. Gegebenenfalls muss das Gericht einen Sachverständigen zur Hilfe ziehen. Erst dann sei das Gericht überhaupt in der Lage, die gesundheitlichen Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsel, die für den Mieter konkret mit dem Umzug verbunden sind, im Rahmen der notwendigen erforderlichen Abwägung sachgerecht zu gewichten.

Hier hatte das Landgericht (LG) Baden-Baden die vorgebrachten Härtegründe der Mieter aber nicht genau genug geprüft. Das LG habe zwar die von den Mietern vorgetragenen Gründe als wahr angesehen, kam dennoch zu dem Ergebnis, dass diese nicht Vorrang vor den Interessen des Vermieters hätten.

Inwieweit der Erhalt der Wohnung für die Mieter existenzielle Bedeutung hat, wurde nicht berücksichtigt. Doch gerade wenn – wie hier – ganz schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen drohen (oder auch bei Lebensgefahr), sind die Gerichte gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen und den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen.

Das Landgericht muss deshalb nun diese Tatsachen feststellen, die für eine sorgfältige Abwägung erforderlich sind. Mit diesem Urteil des BGH dürften Mieter zukünftig bessere Chancen haben, sich gegen eine Wohnungskündigung zu wehren, wenn ein Umzug für sie nicht nur unerhebliche, sondern massive Auswirkungen – insbesondere auf die Gesundheit – haben würde.