Handelsvertreter: Schadensersatzanspruch trotz Vertragsbeendigung in der Probezeit

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied mit Urteil vom 19.04.2018 (Az.: C-645/16) laut einer Pressemitteilung vom selben Tag, einem Handelsvertreter können trotz Kündigung des Handelsvertretervertrages in der Probezeit Ansprüche auf Ausgleichs- und Schadensersatzzahlungen zustehen. Das Gericht führte hierzu aus, die zugrundeliegende Richtlinie sei gerade keine Sanktion für eine Vertragsauflösung, sondern solle vielmehr den Handelsvertreter für Kosten und Aufwendungen, die ihm durch Leistung entstanden sind, entschädigen. Hierfür sei eben gerade nicht das Auslaufen der Probezeit, noch irgendein anderer Zeitpunkt von Belang, da eine solche Situation jederzeit im Vertragsverhältnis entstehen könne.

Zu wenig Häuser verkauft: DTT beendet Kooperation mit CMR – Vertragsziel nicht erfüllt

Vorliegend handelt es sich um eine Streitigkeit zwischen zwei französischen Firmen. Die Gesellschaft CMR, von der Gesellschaft DTT als Handelsvertreter angestellt, sollte in deren Auftrag pro Jahr 25 Einfamilienhäuser verkaufen. Im Vertrag wurde eine Probezeit von zwölf Monaten vereinbart, beiden Parteien wurde innerhalb dieser Zeitspanne das Recht eingeräumt, innerhalb einer bestimmten Frist den Vertrag aufzukündigen. Dieses Recht nahm DTT schließlich war, da CMR innerhalb von fünf Monaten lediglich einen einzigen Verkauf getätigt hatte.

Ratlosigkeit im Cour de cassation: Französischer Kassationsgerichtshof bittet EuGH um Auslegung

Ob der Schwierigkeiten, die die Auslegung (Hinterfragen einer Norm nach ihrem Sinn) von EU- Vorschriften in Vereinbarkeit mit Nationalrecht den staatlichen Gerichten oft bereiten, fragte hier der französische Kassationsgerichtshof beim EuGH an, und bat um Klärung. Konkret handelte es sich um die Frage, ob die Kündigung eines Handelsvertretervertrages während der Probezeit (nicht wörtlich in der EU- Vorschrift geregelt) zu einem Ausschluss der Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche des Handelsvertreters führe.

Vertragsfreiheit: EuGH stellt Legitimität fest – Vereinbarung einer Probezeit nicht ausgeschlossen

Zunächst erteilte der EuGH dahingehend Auskunft, die Vereinbarung einer Probezeit im Vertrag sei Bestandteil der Vertragsfreiheit der Parteien: Mithin sei dies durch die Norm nicht ausgeschlossen. Die Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche dürften dem Handelsvertreter nicht allein deshalb versagt werden, weil die Beendigung des Vertragsverhältnisses noch in die Probezeit fiele. Ziel der Richtlinie sei schließlich auch der Schutz des Handelsvertreters in seiner Beziehung zum Unternehmer. Eine Auslegung der Richtlinie, die sich nachteilig für den Handelsvertreter auswirke, sei damit schon ausgeschlossen. Eine Abhängigkeit der Ansprüche des Handelsvertreters von einer Probezeit führe zudem zu einer Benachteiligung, nur weil der Vertrag mit dem Unternehmer eine Probezeit enthielte.

Fazit: EuGH spricht Handelsvertreter Ansprüche unabhängig von Probezeit zu

Der EuGH äußert sich hier zugunsten der Handelsvertreter: Eine Abhängigkeit der Schadensersatzansprüche von der Probezeit widerspräche dem schützenden Charakter der einschlägigen Vorschrift, welche generell im Sinne der Handelsvertreter auszulegen sei. Die Schutzfunktion würde bei anderweitiger Auslegung leerlaufen. Außerdem stellt der EuGH klar, solche Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche sollten keine Sanktionierungsfunktion für die Vertragsbeendung darstellen, sondern vielmehr dem Handelsvertreter Leistungen ersetzen, die dem Unternehmer Vorteile gebracht, vom Handelsvertreter aber nicht amortisiert werden konnten. Somit komme eine Berücksichtigung der Probezeit überhaupt nicht in Betracht.