Die Richter des Zweiten Senates des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt hatten am 28.03.2017 darüber zu entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die mit Schreiben der Arbeitgeberin fristlos, hilfsweise fristgemäß erklärte Kündigung aufgelöst worden war. Dem vorausgegangen war der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf auf Antrag des Betriebsrates, nach dem die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin zu entlassen habe.
„Entfernung betriebsstörender Arbeitnehmer“: Das Verfahren nach § 104 Betriebsverfassungsgesetz
Der Betriebsrat hat gemäß § 104 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) das Recht, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung eines betriebsstörenden Arbeitnehmers zu verlangen. Erforderlich ist die Störung des Betriebsfriedens durch gravierende Fehlverhaltensweisen des Arbeitnehmers, wie beispielsweise ein gesetzeswidriges Verhalten, rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen. Lehnt der Arbeitgeber eine Entlassung oder Versetzung des Arbeitnehmers ab, kann der Betriebsrat den Antrag im Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht geltend machen. Widersetzt sich der Arbeitgeber in der Folge einer Kündigungsanordnung des Arbeitsgerichts, kann er durch das Gericht– wiederum auf Antrag des Betriebsrates – zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung unter Festsetzung eines Zwangsgeldes angehalten werden (§ 104 Satz 2 BetrVG).
Der Fall
Im dem nun dem BAG vorliegenden Fall war es zu mehreren Vorfällen zwischen einer im Versicherungsunternehmen beschäftigten Sachbearbeiterin und anderen Arbeitnehmern gekommen. In der Folge hatte der Betriebsrat des Versicherungsunternehmens die Arbeitgeberin aufgefordert, die Sachbearbeiterin zu entlassen, hilfsweise sie zu versetzen. Als die spätere Beklagte dem nicht nachkam, machte der Betriebsrat den Entlassungs- und hilfsweisen Versetzungsantrag vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf geltend. Das Gericht entsprach nach Anhörung der Arbeitnehmerin dem Antrag des Betriebsrates und gab der Arbeitgeberin auf, die Sachbearbeiterin zu entlassen. In der Folge kündigte die Beklagte das bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß.
Die Arbeitnehmerin wandte sich mit der vorliegenden Klage gegen die fristlose sowie die fristgemäße Kündigung. Es liege weder ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vor noch sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).
Eine wirksame Kündigung?
Der allgemeine Kündigungsschutz gilt für alle Arbeitnehmer, die in den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallen. Der Schutz des Gesetzes bewirkt, dass – vereinfacht ausgedrückt – der Arbeitgeber einen vernünftigen Grund benötigt, damit die Kündigung wirksam ist. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach § 1 Abs. 2 KSchG. Dort wird unterschieden zwischen der personenbedingten, der verhaltensbedingten sowie der betriebsbedingten Kündigung. Der Arbeitgeber muss also – sofern der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage erhebt – im Rahmen des Verfahrens darlegen, dass die Kündigung durch Gründe bedingt ist, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder dass dringende betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. Hierfür trifft den Arbeitgeber die Beweislast (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG), d.h. er muss die Tatsachen beweisen, welche die Kündigung bedingen.
Das Urteil des BAG: Bindungswirkung des Verfahrens nach § 104 BetrVG
In den Vorinstanzen hatten das Arbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 01.02.2016 – 4 Ca 6451/15) und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 13.06.2016 – 9 Sa 233/16) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zwar nicht durch die fristlose, jedoch durch die ordentliche Kündigung aufgelöst worden sei. Die Rechtsmittel beider Parteien gegen die Entscheidung der Vorinstanz, mit denen sie ihre ursprünglichen Anträge weiterverfolgten, blieben vor dem BAG jedoch ohne Erfolg.
Der Zweite Senat des BAG entschied mit Urteil vom 28.03.2017 (Az. 2 AZR 551/16), dass aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts nach Antrag des Betriebsrats, wonach die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin zu entlassen hatte, ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die ordentliche Kündigung gegeben war. Er folgte damit den Begründungen der beiden Instanzgerichte für die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung. Demnach komme dem Beschluss eines Arbeitsgerichts im Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG, durch das dem Arbeitgeber die Entlassung eines Arbeitnehmers aufgegeben wird, eine Präjudizwirkung zu, sodass es nicht mehr auf eine eigenständige Prüfung der Voraussetzungen des § 1 KSchG ankomme. Voraussetzung sei, dass der betroffene Arbeitnehmer im Beschlussverfahren beteiligt, also angehört worden sei.
Eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitgeberin nach Auffassung der Erfurter Richter durch den Beschluss des Arbeitsgerichts allerdings nicht aufgegeben worden. Die außerordentliche Kündigung ist damit unwirksam.
Folgen für die Praxis
Wird einem Arbeitgeber auf Antrag des Betriebsrats in einem Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG rechtskräftig die Entlassung eines Arbeitnehmers aufgegeben, liegt ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für eine ordentliche Kündigung dieses Arbeitnehmers vor. Eine auf diesen Beschluss gestützte Kündigung ist dann, soweit auch die formalen Vorgaben und insbesondere die Frist zur Erklärung der Kündigung eingehalten werden, wirksam. Dem Urteil der Erfurter Richter lag jedoch eine eher außergewöhnliche und daher seltene Fallkonstellation zugrunde, sodass die praktische Bedeutung der Entscheidung des BAG wohl gering ausfallen dürfte.
Was wir für Sie tun können
Wir beraten Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowohl im Vorfeld einer Kündigung als auch eines Kündigungsschutzprozesses. Unter Beachtung aller rechtlichen Anforderungen, beispielsweise eines ggf. bestehenden Sonderkündigungsschutzes und des allgemeinen Kündigungsschutzes, einzuhaltender Kündigungsfristen sowie der rechtlichen Formalitäten einer Betriebsratsanhörung erarbeiten wir für unsere Auftraggeber rechtssichere Lösungsvorschläge und bereiten den Prozess gründlich vor, um den optimalen Verfahrensablauf zu gewährleisten.