Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hat mit Urteil vom 21.08.2018 festgestellt (Az.: 4 U 1573/17), eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers liege auch dann vor, wenn dieser bei Umorganisation seines Arbeitsplatzes seine Arbeit fortsetzen könnte. Damit ist die Arbeitsunfähigkeitsversicherung in der Pflicht, das Krankentagegeld zu zahlen. Um wegen vollständiger Berufsunfähigkeit des Versicherten von dieser Pflicht frei zu werden, müsse der Versicherer die Beweisführung antreten. Als nicht geführt gelte ein solcher Beweis, wenn „zum behaupteten Zeitpunkt ein medizinischer Befund nicht vorliegt“, so das OLG weiter.
Patient mit Platzangst ist beruflicher Vielflieger – Versicherung erkennt keine Arbeitsunfähigkeit
Der Kläger war Projektmanager für die Konzeptionierung von Windparks in Deutschland und international. Zu diesem Zweck reiste er viel, insbesondere per Flugzeug, da er vor Ort die Eruierung der Windwerte überwachte, zudem aber auch Sponsoren betreute. Nach einem Haftaufenthalt und der Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt traten bei ihm „eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, eine Abhängigkeit von Sedativa oder Hypnotika, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Agoraphobie (Platzangst) mit Panikstörung“ hervor. Danach wurde er von seiner Versicherung aufgefordert, seinen Gesundheitszustand ärztlich überprüfen zu lassen, um weiterhin seine Arbeitsunfähigkeitsversicherung ausgezahlt zu bekommen. Da er aus gesundheitlichen Gründen die Untersuchung nicht vornehmen lassen konnte, stellte die Versicherung die Zahlungen ein. Daraufhin wandte er sich mit einer Klage vor dem Landgericht (LG) Dresden. Hier wurde zugunsten des Klägers geurteilt und ihm ein Anspruch auf Krankentagesgeld durch die Versicherung zugesprochen.
Versicherung will nicht zahlen – OLG-Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers
Mit diesem Urteil unzufrieden, zog die Versicherung vor das OLG, in der Hoffnung, doch nicht zahlen zu müssen – ohne Erfolg. Das OLG bestätigte das Urteil des LG vollumfänglich. Auch der Argumentation der Versicherung, der Kläger könne ja auch von zu Hause aus arbeiten, folgte das Gericht nicht: „Es ist nicht danach zu fragen, ob der Kläger durch eine Verlegung seines Arbeitsplatzes in den häuslichen Bereich ganz oder teilweise seiner Arbeit nachgehen könnte. Denn ein Wechsel der Arbeitssituation wird dem Versicherten im Rahmen einer Krankentagegeldversicherung nicht zugemutet, weil diese den erkennbaren Zweck hat, einen nur vorübergehenden Ausfall der Arbeitskraft auszugleichen“. Die Berufsunfähigkeit ist deshalb von besonderer Bedeutung, denn im Falle der Berufsunfähigkeit müsste die Arbeitsunfähigkeitsversicherung nicht zahlen. So versuchte die Versicherung, die Berufsunfähigkeit nachzuweisen, jedoch ohne Erfolg: Die Bereitwilligkeit zu Therapien und die Tatsache, dass der Kläger sich bereits beruflich umorientiere, zeige, dass die Arbeitsunfähigkeit nur vorübergehend sei, so das Gericht.
Fazit: OLG stärkt Position der Versicherungsnehmer – Versicherer muss zahlen
Nach dem Urteil ist klar: Der Versicherer hat die Arbeitsunfähigkeitsversicherungssumme in Höhe von etwa 30.000 Euro an den Versicherten auszuzahlen. Der Versicherte konnte durch seinen Prozessbevollmächtigten hinreichend argumentativ belegen, dass er tatsächlich nur vorübergehend arbeitsunfähig war. Ob das Urteil Signalwirkung hat, bleibt hingegen erst einmal abzuwarten: Schließlich fiel der Schiedsspruch zugunsten des Versicherten hauptsächlich wegen günstiger Gutachten. Wichtig in diesem Fall ist jedenfalls die Klarstellung des OLG, dass ein Versicherungsnehmer auch dann Anspruch auf seine Arbeitsunfähigkeitsversicherung hat, wenn er bei einer Verlegung des Arbeitsplatzes in ein „Home Office“ potentiell arbeiten könnte.